Henrietta Lacks

Danke, Henrietta!

Rund 75.000 Studien sind mit Hilfe von HeLa entstanden, ein Teil davon am Max Delbrück Center. Die Zellkulturlinie ist kaum aus biomedizinischen Laboren wegzudenken. Doch wer war die Frau hinter der Abkürzung? Zum Black History Month feiern wir ihr Erbe – und unsere Forscher*innen sagen „Danke!“

„Is nix Schlimmes“, beruhigte Henrietta Lacks ihren Mann David und die Kinder. Die Ärzte wollten sie nur noch mal untersuchen, ihr ein wenig Medizin geben. Es war der 5. Februar 1951. Henrietta hatte gerade am Telefon erfahren, dass der Knoten an ihrem Muttermund bösartig war.

Sie ahnte nicht, dass sie am nächsten Morgen Medizingeschichte schreiben würde. David fuhr sie mit dem Auto zur gynäkologischen Abteilung des Johns-Hopkins-Krankenhauses nach Baltimore. Sie nahmen den Weg nicht wegen des guten Rufs der Klinik auf sich. Es war die einzige Institution im Umkreis, die schwarze Menschen behandelte.

Für Henrietta war es eine Reise in ein unbekanntes Land. Zum ersten Mal hörte die lebenslustige Frau Begriffe wie „Cervix“ und „Biopsie“. Henrietta jedoch, eine junge Mutter von fünf kleinen Kindern, konnte kaum lesen und schreiben. Nun fand sie sich auf der Krankenstation für farbige Frauen wieder, wo kein Gott in Weiß sich die Mühe machte, den Patientinnen sein Tun zu erklären.

Im OP nähte der diensthabende Chirurg ein Röhrchen mit Radium an ihrem Gebärmutterhals fest – damals die modernste Therapie gegen Gebärmutterhalskrebs. Zuvor jedoch schnitt er zwei münzgroße Gewebestücke heraus und schickte die Proben an das Labor des Wissenschaftlers George Gey.

Gey hatte sich der Suche nach immer weiter vermehrbaren Zellen verschrieben und sammelte Proben. Wenn er Zellen in einer Zellkultur züchten könnte, dann würde man bald auch Krankheiten wie Krebs besiegen, so hoffte er. Bisher jedoch war jeder Zelle im Labor nur eine äußerst begrenzte Lebensdauer beschieden. Auch diese Zellen würden nicht lange überleben, dachte sich Geys Assistentin.

„Kein Mangel an medizinischem Material“

Niemand hat Henrietta gefragt, ob sie ihre Zellen der Forschung zur Verfügung stellen möchte. Ihre Ärzte wären nicht einmal auf den Gedanken gekommen. „Das Hopkins mit seinem großen Bestand mittelloser Farbiger hatte keinen Mangel an medizinischem Material“, schrieb einmal Howard Jones, Henriettas Arzt. Wenn die Behandlung schon kostenlos war, dann sollten die Patient*innen wenigstens der Forschung nützen.

Henriettas Zellen überlebten nicht nur – solange sie genügend Nährstoffe bekamen, teilten sie sich alle 24 Stunden. Und sie waren alles andere als empfindlich. Dank Henriettas Leiden hatte George Gey ein zuverlässiges Werkzeug für die moderne Medizin gefunden: die erste unsterbliche menschliche Zelllinie. Begeistert schickte er Proben mit der Aufschrift HeLa (die Anfangsbuchstaben des Namens Henrietta Lacks) an Labore in aller Welt.

Obwohl es Krebszellen sind, teilen sie viele grundlegende Eigenschaften mit gesunden Zellen: die Funktionsweise von Genen, die Produktion von Eiweißen, den Nährstoffhaushalt einer Zelle. HeLa half bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Kinderlähmung. Die Zellen wurden mit Mumps, Masern, Windpocken, Herpes, Tuberkulose, HIV und schließlich mit dem Coronavirus infiziert. Sie wurden bei Atombombentests starker Strahlung ausgesetzt und im Weltraum der Schwerelosigkeit. Der erste Klon war eine HeLa-Zelle.

Glück für die Forschung, eine Tragödie für die Familie

HeLa-Zelle in 40-facher Vergrößerung: Die Krebszellen sind mit fluoreszierenden Proteinen markiert, sie zeigen deutlich den Zellkern in rot und die Mitochondrien in grün. Henriettas Zellen unterstützen nach wie vor unsere Forschung über das mitochondriale Netzwerk.

Es war auch eine versehentlich eingefärbte HeLa-Zelle, die den Blick auf die 46 menschlichen Chromosomen freigab. Die Liste ist schier endlos. Könnte man alle jemals gezüchteten HeLa-Zellen stapeln, würden sie zusammen mehr als 50 Millionen Tonnen wiegen. Aneinandergereiht würden sie die Erde dreimal umspannen. Mehr als 75.000 Studien sind entstanden. Weltweit beruhen rund 11.000 Patente auf HeLa. Und nach wie vor nutzen unzählige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese Zellen – auch am Max Delbrück Center.

Was für die Forschung ein Glücksfall war, war für die Familie Lacks eine Tragödie. Die Tumorzellen zerfraßen Henriettas Körper. Die Schmerzen waren so unerträglich, dass die Kinder sie nicht mehr besuchen durften. David brachte sie zum Spielen auf die Straßenseite, die Henrietta vom Fenster aus sehen konnte. So konnte sie zumindest von Ferne Abschied nehmen. Sie starb am 4. Oktober 1951.

20 Jahre vergingen, ehe die Familie etwas von HeLa erfuhr. Während Millionen Menschen Henrietta Lacks ihr Leben verdanken, konnten sich viele ihrer Nachkommen nicht einmal eine ärztliche Behandlung leisten. Es sind Ungerechtigkeiten wie diese, die WHO-Chef Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus antreiben. 2021 lud er die Familie Lacks nach Genf ein und übergab ihnen die Medaille des Generaldirektors der Weltgesundheitsorganisation. Eine Anerkennung der Menschheit für Henriettas Erbe, nach 70 Jahren.

„Was Henrietta passiert ist, war Unrecht. Sie ist ausgenutzt worden“, sagte Tedros. Sicher würde sie sich über all die Fortschritte der Medizin freuen. „Aber der Zweck heiligt nicht die Mittel. Die Ärzte hätten sie um Erlaubnis fragen müssen. Heute müssen wir zumindest anerkennen, was falsch war. Und wir müssen solidarisch sein mit marginalisierten Patientinnen und Patienten auf der ganzen Welt.“

In Afrika sterben besonders viele Frauen an Gebärmutterhalskrebs

Noch immer entscheidet Hautfarbe, Ethnizität, Geld und der zufällige Geburtsort darüber, wie gut ein Mensch vor Krankheit geschützt ist und wie gut man im Falle des Falles versorgt wird. Ein Beispiel: Den Gebärmutterhalskrebs, der Henrietta tötete, kann die Impfung gegen Humane Papillomaviren (HPV) verhindern. Ihre Zellen haben der Entwicklung den Weg bereitet. Doch während Teenager in fast allen Industrienationen entscheiden können, ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht, ist die HPV-Impfung nur in einem Viertel der ärmsten Staaten verfügbar. Von den 20 Ländern, in denen die meisten jungen Frauen an Gebärmutterhalskrebs sterben, liegen 19 in Afrika.

Auf diesem Bild sind die HeLa-Zellkerne blau zu sehen, die Mitochondrien rot.

„Wir schulden es Henrietta, das zu ändern“, sagte Dr. Nono, Prinzessin Nothemba Simelela, die bei der WHO für strategische Schwerpunkte wie Frauengesundheit zuständig ist. „Zu medizinischen Durchbrüchen, die HeLa-Zellen ermöglicht haben, sollten alle Menschen gleichermaßen Zugang haben“, betonte auch Victoria Baptiste, selbst Krankenschwester und Urenkelin von Henrietta Lacks. „Ihr Vermächtnis lebt in uns weiter. Danke, dass Sie ihren Namen sagen: Henrietta Lacks.“

Text: Jana Schlütter

 

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