Cheryl Stucky

Die Rolle von Hautzellen bei Berührung und Schmerz

Am Max Delbrück Center lernte Cheryl L. Stucky Techniken, die sie heute als Professorin an Nachwuchswissenschaftler*innen in den USA weitergibt. Am 8. November besucht die Alumna ihre alte Wirkungsstätte und spricht darüber, wie Hautzellen zum Berührungs- und Schmerzempfinden beitragen.

Schmerz war immer ein Forschungsschwerpunkt von Professor Gary Lewin. Die erste Postdoktorandin in seinem Labor war Cheryl L. Stucky. Sie arbeitete dort von 1997 bis 1999. Diese Zeit war ein Sprungbrett für sie. Direkt im Anschluss baute sie ihre eigene Arbeitsgruppe am Medical College of Wisconsin auf. Mittlerweile arbeitet Professorin Cheryl L. Stucky mehr als 25 Jahre in den Neurowissenschaften und hat über 116 Publikationen veröffentlicht. Sie ist leitende Wissenschaftlerin mit einem Stiftungslehrstuhl und Direktorin der Schmerzabteilung am Neuroscience Research Center.

In ihrer Forschung konzentriert sie sich auf somatosensorische und Schmerzmechanismen. Cheryl Stucky untersucht, wie Ionenkanäle auf schmerzempfindlichen Neuronen zu Schmerz- und Berührungsempfindungen beitragen, etwa bei neuropathischen Schmerzen, die von einer Chemotherapie verursacht wurden. Am 8. November besucht sie das Max Delbrück Center und hält im Rahmen unserer „Pathway series“ einen Vortrag. Ihr Thema: „Jenseits der Schutzbarriere: Hautzellen sind an Berührung und Schmerz beteiligt“. In unserem Interview erzählt Cheryl Stucky, wie ihre Zeit am Max Delbrück Center ihren beruflichen Werdegang geprägt hat und woran sie heute arbeitet.

Was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie an Ihre Zeit am Max Delbrück Center denken?

Cheryl L. Stucky: Ich habe den Teamgeist am Max Delbrück Center, gepaart mit hochkarätiger Wissenschaft, wirklich genossen. Ich kannte mich damals mit der Patch-Clamp-Technik, mit der sich der Strom durch einzelne Ionenkanäle in der Zellmembran einer Zelle darstellen lässt, überhaupt nicht aus. Ich habe von wunderbare und großzügigen Postdocs aus dem Labor von Helmut Kettenmann gelernt. Mir gefiel auch, wie klug und kreativ mein Arbeitsgruppenleiter Gary Lewin war – und es bis heute ist. Es ist eine Freude, mit ihm zu arbeiten. Seine Ansätze sind ganz vorn dabei. Außerdem ist er sehr engagiert und zielstrebig, ich schätze seinen Wettbewerbsgeist. Er ist ein wirklich hervorragender Mentor.

Woran haben Sie damals gearbeitet?

Ich habe mit Hilfe von Patch-Clamp-Verfahren die funktionellen Eigenschaften von Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) untersucht. Gary Lewin und ich entdeckten, dass eine Klasse von Nozizeptoren, die keine Peptide exprimieren, bestimmte physiologische Eigenschaften haben. Wir haben auch untersucht, wie Neurotrophine – das sind Botenstoffe, die Verbindungen zwischen Nervenzellen bewirken – die Entwicklung, das Überleben und die Funktion von Nozizeptoren verändern. Wir haben außerdem Ionenkanäle erforscht, durch die die sensorischen Neuronen mechanische Reize registrieren.

„In Berlin habe ich meine Nische gefunden“

Wie hat diese Zeit Ihren weiteren Karriereweg geprägt?

Meine Arbeit mit Gary gab mir den Überblick und die vorläufigen Daten, um damit eine Föderung bei den National Institutes of Health zu beantragen. Mein Antrag wurde sofort bewilligt. Die elektrophysiologischen Aufzeichnungsmethoden, die ich in Garys Labor erlernt habe – sowohl Patch-Clamp-Aufzeichnungen als auch Aufzeichnungen von Hautnervenfasern –, sind wichtige Ansätze, die ich seit 23 Jahren in meinem Labor anwende und nach wie vor meinen Studierenden und Postdocs beibringe. Diese Methoden sind immer noch aktuell und sehr hilfreich, wenn es darum geht, die Weiterleitung von sensorischen Reizen und Schmerzmechanismen im Feld der Somatosensorik aufzudecken. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Ansätze erlernt habe. So habe ich eine einzigartige Nische gefunden und einen eigenen Weg für meine Karriere. Die Zusammenarbeit mit Gary hat mir gezeigt, wie man einzigartige und kluge Forschungsfragen stellt und mit neuartigen Ansätzen eine Brücke zwischen Grundlagenforschung und klinischer Forschung schlägt.

Worauf konzentrieren Sie sich heute?

In meinem Labor beschäftigen wir uns mit fünf Arten von Schmerz. Da wäre zunächst der durch Chemotherapie ausgelöste neuropathische Schmerz. Vor kurzem haben wir entdeckt, dass ein Protein in Hautzellen namens Piezo1 die Berührungsempfindlichkeit in normaler Haut steuert. Unsere neuen, noch unveröffentlichten Daten deuten darauf hin, dass dieses Protein auch den lähmenden Berührungsschmerz steuert, den eine Chemotherapie auslösen kann.

Unser zweites Forschungsgebiet sind Schmerzen aufgrund von Nervenschäden, die nach einem Unfall oder chirurgischen Eingriffen auftreten können. Wir wollen die Zelltypen identifizieren, die zur Nervenschädigung beitragen, und verstehen, wie diese Zellen Signale aussenden, die Schmerzen verursachen, lange nachdem die Verletzung verheilt ist.

Ein weiteres sehr wichtiges Thema sind Schmerzen bei Sichelzellen-Anämie. Sichelzellenschmerzen sind gravierend und noch sehr wenig erforscht, es fehlt an wirksamen Behandlungsmöglichkeiten. Unser Labor ist eines der wenigen Labore weltweit, die sich damit beschäftigen. Wir untersuchen außerdem Schmerzen bei der Fabry-Krankheit, einer vererbten neurologischen Störung, die durch einen Mangel an Enzymen verursacht wird. Die Betroffenen leiden lebenslang an schubweise auftretenden Schmerzen.

Nicht zuletzt untersuchen wir TRPC5 (transient receptor potential canonical 5) als neues Ziel für Wirkstoffe gegen anhaltende entzündliche Schmerzen. TRPC5 ist ein Protein, das auf vielen verschiedenen Zelltypen vorkommt. Auch menschliche Nervenzellen exprimieren TRPC5. In mehreren Nagetiermodellen konnten wir feststellen, dass das Protein an der Kontrolle von Berührungs- und Spontanschmerz beteiligt ist. Insofern könnten TRPC5-Inhibitoren eventuell ein Mittel gegen spontane und taktile Schmerzen sein.

Eine aufregende Entwicklung für alle Projekte ist, dass wir jetzt menschliches Haut-, Plasma- und Nervengewebe sammeln, um unsere Ergebnisse bei Nagetieren auf den Menschen zu übertragen. So können wir überprüfen, ob die Schmerzmechanismen bei Patient*innen denen im Tiermodell entsprechen.

Das Interview führte Jana Ehrhardt-Joswig.

 

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