Novel Coronavirus SARS-CoV-2

COVID-19: Forschungserfolge und offene Fragen

Während eines virtuellen I&I-Symposiums zu COVID-19, zu dem das MDC eingeladen hatte, haben führende Expert*innen ihre Forschung und Prognosen zur Coronavirus-Pandemie vorgestellt. Sie hatten erfreuliche Neuigkeiten zu den Impfstoffen und Immunreaktionen, warnten aber auch vor der dritten Welle.

Fünf Expert*innen von Weltrang, darunter der Entwickler des deutschen BioNTech-Impfstoffs, haben am 3. März darüber berichtet, zu welchen Einsichten sie im Laufe der COVID-19-Pandemie gekommen sind. Das halbtägige virtuelle Symposium haben das Konsortium für Immunologie und Inflammation (I&I) der Helmholtz-Gemeinschaft und das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) gemeinsam veranstaltet.

Dass therapeutische Antikörper und Impfstoffe in Rekordzeit entwickelt werden konnten, ist ein echter wissenschaftlicher Triumph.
Prof. Dr. Klaus Rajewsky
Klaus Rajewsky Leiter der Arbeitsgruppe "Immunregulation und Krebs"

Das COVID-19-Symposium zählt zu den bislang erfolgreichsten Symposien des MDC und zog rund 2.000 Forschende, Journalist*innen und Laien an. Die Teilnehmer*innen hatten Gelegenheit, führende Wissenschaftler*innen zu hören, die die Ausbreitung der Pandemie verfolgen und Coronaviren, Immunreaktionen, Virusvarianten und Impfstoffen erforschen. Zudem bot das Symposium eine Bühne, um Fehlinformationen zu entkräften und die wichtige Rolle der wissenschaftlichen Community in der Pandemie zu verdeutlichen.

„Natürlich spielt die Wissenschaft bei der Bekämpfung der Pandemie eine Schlüsselrolle, insbesondere durch die Erforschung des Immunsystems“, sagt Professor Klaus Rajewsky, der die MDC-Arbeitsgruppe für Immunregulation und Krebs leitet und einer der Organisatoren war. „Dass therapeutische Antikörper und Impfstoffe in Rekordzeit entwickelt werden konnten, ist ein echter wissenschaftlicher Triumph.“

Das zeigt, dass wir langfristig sowohl in die Grundlagen- als auch in die translationale Forschung investieren müssen, um Herausforderungen wie diese angehen zu können.
Michela di Virgilio
Michela Di Virgilio Leiterin der Arbeitsgruppe "Genomdiversifikation und Integrität"

Professorin Michela Di Virgilio, Leiterin der MDC-Arbeitsgruppe für Genomdiversifikation und Integrität und ebenfalls Organisatorin, stimmt dem zu: „In dieser Pandemie sehen wir wissenschaftliche Fortschritte, die auf jahrzehntelanger Forschung aufbauen. Das zeigt, dass wir langfristig sowohl in die Grundlagen- als auch in die translationale Forschung investieren müssen, um Herausforderungen wie diese angehen zu können.“

Die schlechten Nachrichten zuerst

Professor Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung berät die Bundesregierung darüber, wie sich die Pandemie ausbreitet und welche Maßnahmen für den Gesundheitsschutz nötig sind. Er und sein Team haben ein mathematisches Modell entwickelt, das die Ansteckungsketten abbilden kann. Er erläuterte zahlreiche Faktoren, die das Modell dabei berücksichtigt, und berichtete, wie gut die Prognosen bisher mit der Realität übereinstimmten.

Das beginnt sich jedoch zu ändern: Das Modell sagte voraus, dass die Fallzahlen Ende Februar und Anfang März noch sinken sollten. Tatsächlich stieg die Zahl der Infektionen in Deutschland jedoch langsam wieder. „Auch andere Simulationen zeigen optimistischere Ergebnisse als die aktuellen Daten. Es geht da also etwas vor sich, das wir noch nicht verstehen und das die Lage noch verschlechtert“, sagt Meyer-Hermann.

Mit den besten verfügbaren Informationen zeigt das Modell einen deutlichen Anstieg der Fälle Ende März und bis in den April hinein, wenn die Maßnahmen zur sozialen Distanzierung gelockert werden und sich die ansteckenderen Varianten stärker verbreiten. „Die Impfungen werden zu spät kommen, um eine dritte Welle zu verhindern – zumindest in den europäischen Ländern“, sagt er.

Meyer-Hermann und seine Kollegen empfehlen, dass Regierungen einen dezidierten, proaktiven Ansatz verfolgen sollten, um die Welle zu brechen. Gemeinsame Studien mit Ökonomen des ifo Instituts in München haben gezeigt, dass es langfristig besser für die Wirtschaft ist, die Pandemie durch einen strikten Lockdown einzudämmen und einen optimalen R-Wert von etwa 0,8 zu erreichen. Diese Reproduktionszahl gibt die Anzahl der Menschen an, die ein Erkrankter im Durchschnitt ansteckt.

„Bei einer höheren Reproduktionszahl dauert der Lockdown länger. Folglich steigen auch die Kosten für die Wirtschaft“, sagt Meyer-Hermann. Er wies auf ein Beispiel der Geschichte hin: US-Bundesstaaten, die während Spanischen Grippe 1918 schnell und streng durchgriffen, standen im Anschluss wirtschaftlich besser da als andere Staaten. „Die Wirtschaft läuft nur dann, wenn wir das Virus kontrollieren“, erklärt er.

Coronaviren im Wandel der Zeit 

Professorin Susan R. Weiss von der Perelman School of Medicine an der University of Pennsylvania erforscht seit Jahrzehnten die grundlegende Biologie von Coronaviren. Auf der ersten internationalen Konferenz über Coronaviren, die 1980 in Würzburg stattfand, waren nur etwa 60 Wissenschaftler anwesend. „Mehr gab es damals schlichtweg nicht“, sagt Weiss. Seitdem hat sich viel getan. Zunächst war da SARS-CoV-1 im Jahr 2002 und jetzt stecken wir mitten in der SARS-CoV-2-Pandemie.

Weiss gab einen Überblick über die Struktur von Coronaviren, ihre Genome, die Art und Weise, wie sie sich in ihren Wirten vermehren, und verschiedene Signalwege, die genutzt werden könnten, um ihre Aktivität zu unterbinden. Alle Coronaviren, zu denen MERS, SARS-CoV-1 und ganz normale Erkältungsviren gehören, haben eine ähnliche Genomstruktur. Während genetische Unterschiede zu verschiedenen Reaktionen bei infizierten Menschen und Tieren führen, sind viele Proteine ähnlich bzw. konserviert. Das sind zum Beispiel Proteine, die dem Virus bei der Replikation helfen, es während dieses Prozesses vor Fehlern schützen oder die Immunantwort des Wirts stören.

„Sie alle sind wirklich konserviert, sodass eine antivirale Therapie gegen eines dieser Proteine sehr wahrscheinlich gegen die meisten, wenn nicht gegen alle und auch künftige Coronaviren wirkt, sollte es eine weitere Epidemie oder eine Übertragung zwischen Mensch und Tier geben“, sagt Weiss.

Sie hält es für durchaus möglich, dass andere Coronaviren bereits von Fledermäusen auf den Menschen übergesprungen sind, aber vielleicht unentdeckt blieben, weil die Betroffenen nicht so krank wurden oder sich das Virus nicht weit ausbreitete. Es sei auch möglich, dass in Zukunft weitere Coronaviren auftreten. „Ich denke, wir müssen davon ausgehen, dass es weitere Coronaviren geben wird. Darauf sollten wir vorbereitet sein“, meint sie.

Warum ist dieses Virus für manche Menschen lebensbedrohlich?

Bei COVID-19 hat sich gezeigt, dass der Hauptrisikofaktor für einen schweren oder gar tödlichen Krankheitsverlauf das Alter ist. Aber es gibt auch Ausnahmen: Es gibt ältere Menschen, die asymptomatisch bleiben, und junge Menschen, die daran sterben. Professor Jean-Laurent Casanova von der Rockefeller University und dem Howard Hughes Medical Institute und seine Kolleg*innen erforschen die Mechanismen, die dazu führen, dass eine SARS-CoV-2-Infektion für einige Patient*innen lebensbedrohlich ist, während dies bei den meisten Menschen nicht der Fall ist.

Sie rekrutierten über 5.000 Patient*innen aus aller Welt, die sich bereiterklärten, ihr gesamtes Genom sequenzieren zu lassen. Bei einem kleinen Teil gab es „angeborene Fehler“; es waren also von Geburt an einzelne Gene mutiert, die einen wichtigen Teil des angeborenen Immunsystems beeinflussen – die Typ-I-Interferone. Das sind Proteine, die dem Körper dabei helfen, auf virale Eindringlinge zu reagieren.

Mit der „Genetik als Kompass“ begannen die Forscher*innen um Casanova dann, bei weiteren Erkrankten mit schweren COVID-19-Verlauf nach Anzeichen zu suchen, dass dieses Interferon-Alarmsystems blockiert ist. Sie fanden heraus, dass rund zehn Prozent der Studienteilnehmer*innen mit einem schweren COVID-19-Verlauf bereits bestehende, unentdeckte „Auto-Antikörper“ hatten. Diese Antikörper greifen eigene gesunde Proteine an, insbesondere Typ-I-Interferone.

„Die Daten zeigen, dass Menschen mit solchen Auto-Antikörpern, die sich mit SARS-CoV-2 infizieren, keine asymptomatische Infektion durchmachen können. Sie bekommen eine schwere Lungenentzündung“, berichtet Casanova.

Noch ist unklar, was die Auto-Antikörper verursacht und warum sie anscheinend im Laufe des Lebens zunehmen. Casanova fragt sich auch, ob sie für deutlich mehr schwere COVID-19-Verläufe verantwortlich sind als bisher angenommen. Die gute Nachricht ist, dass man diese Auto-Antikörper durch einen Test nachweisen kann. Außerdem ist eine Therapie auf dem Markt verfügbar, die helfen kann, die unerwünschten Auswirkungen zu umgehen. Die Forschungsergebnisse befinden sich derzeit noch im Prüf- und Veröffentlichungsprozess.

Das Immunsystem erinnert sich und passt sich an

Professor Michel C. Nussenzweig von der Rockefeller University und dem Howard Hughes Medical Institute hat verfolgt, wie sich die Zahl der Antikörper bei Patient*innen, die sich von einer Infektion mit SARS-CoV-2 erholt haben, und bei Geimpften verändert. Es sieht gut aus: Zwar sinkt die Zahl der Serum-Antikörper, die als Reaktion auf eine Infektion produziert werden, nach sechs Monaten deutlich, die Spiegel der B-Gedächtniszellen bleiben jedoch konstant. Die Antikörper, die diese Gedächtniszellen bei erneuter Exposition gegenüber dem ursprünglichen oder einem verwandten Virus produzieren, stellen das Langzeitgedächtnis des Immunsystems dar.

Die B-Gedächtniszellen-Antikörper erinnern sich nicht nur an das Virus, sondern sie verändern sich und entwickeln sich weiter. So bilden sie vielfältige neue Antikörper. Einen Monat nach der Infektion reagierten die B-Zellen einiger Patienten*innen nicht auf bestimmte SARS-CoV-2-Varianten. Nach sechs Monaten erkannten die B-Zellen jedoch fast alle Virusvarianten. „Antikörper können sich weiterentwickeln und leistungsfähiger werden“, sagt Nussenzweig. „Die adaptive Immunität ist entscheidend für die Virusbeseitigung.“

Die B-Gedächtniszellen-Antikörper erinnern sich nicht nur an das Virus, sondern sie verändern sich und entwickeln sich weiter. So bilden sie vielfältige neue Antikörper. Einen Monat nach der Infektion reagierten die B-Zellen einiger Patienten*innen nicht auf bestimmte SARS-CoV-2-Varianten. Nach sechs Monaten erkannten die B-Zellen jedoch fast alle Virusvarianten. „Antikörper können sich weiterentwickeln und leistungsfähiger werden“, sagt Nussenzweig. „Die adaptive Immunität ist entscheidend für die Virusbeseitigung.“

Er hat beobachtet, dass viele der bisher entdeckten SARS-CoV-2-Varianten genau die gleichen Mutationen aufweisen – und zwar unabhängig davon, wo sie ihren Ursprung haben. Das könnte darauf hindeuten, dass das Virus nur ein begrenztes Repertoire hat. Er ist optimistisch, dass Impfstoffe dank der anpassungsfähigen B-Gedächtniszellen vor Verläufen schützen, die nur im Krankenhaus behandelt werden können. Sie werden in der Lage sein, das Virus zu bekämpfen, selbst wenn sich Menschen mit einer Variante infizieren, meint er: „In den meisten Fällen dürfte es sich wohl um einen eher milden Verlauf handeln. Das Immungedächtnis wurde bereits entwickelt und ist nicht so spezifisch, dass es nicht mit einer Variante umgehen könnte.“

mRNA als Retter in der Not

Als im Januar 2020 die ersten Berichte über ein neuartiges Virus auftauchten, wurden Professor Uğur Şahin und seine Kolleg*innen bei BioNTech hellhörig. Als asymptomatische Übertragungen beobachtet wurden, befürchteten sie, dass es eine Pandemie auslösen könnte. Das Team rund um Şahin handelte schnell und passte den mRNA-Impfstoff, der eigentlich für die personalisierte Krebstherapie entwickelt worden war, an COVID-19 an.

Obwohl zu diesem Zeitpunkt noch sehr wenig über SARS-CoV-2 bekannt war, machte sich das Team daran, über 20 verschiedene Impfstoff-Designs zu untersuchen. Dabei konnte es auf seine jahrzehntelange Erfahrung zurückgreifen, in denen sie die Wirksamkeit von mRNA-Impfstoffen verbessert hatten. Die verschiedenen Designs folgten alle dem gleichen Prinzip: Mit der Impfung wird ein kleiner Abschnitt viraler Boten-RNA (mRNA) in den Körper eingeschleust, der die Blaupause für Proteine liefert, die einen kleinen Teil des Virus bilden. Diese Proteine lösen dann eine Immunreaktion aus, sodass der Körper darauf vorbereitet ist, das echte Virus abzuwehren, wenn er mit SARS-CoV-2 in Kontakt kommt.

Das BioNTech-Team konzentrierte sich schließlich auf zwei Designs: auf einen mRNA-Strang, der das gesamte Spike-Protein kodiert, das Coronaviren ihre charakteristische Form verleiht, und auf einen kleinen Spike-Abschnitt, der eine wichtige Bindungsstelle darstellt. Sie haben beide zunächst an Mäusen und dann an Affen getestet, um die jeweilige Immunantwort zu untersuchen. Kurz darauf haben in Deutschland und dann auch in den USA in Zusammenarbeit mit Pfizer klinische Studien am Menschen begonnen. Beide Designs lösten ähnliche Immunantworten aus. Die Forscher*innen fanden jedoch heraus, dass das gesamte Spike-Protein die bessere Alternative war: Die Immunantwort, insbesondere bei den T-Zellen, die gezielt virusinfizierte Zellen anvisieren und abtöten, konnte besser auf die verabreichte Menge des Impfstoffs abgestimmt werden und führte zu besseren Antikörperreaktionen bei älteren Menschen.

Noch bevor die Ergebnisse der klinischen Studien vorlagen, bestellte BioNTech große Mengen an Rohstoffen wie synthetischen Lipiden, die für die Produktion von Milliarden von Impfstoffdosen benötigt werden würden. Die Aufträge wurden im April 2020 vergeben und die Auslieferung dauerte etwa neun Monate. „Wir sind damit ein großes Risiko eingegangen, auch in finanzieller Hinsicht“, sagt Şahin.

Das Hochfahren der Produktion sei die größte Herausforderung, sagt er. Es gibt kein internationales Netzwerk zur Impfstoffherstellung. Zudem sind weitere analytische Tests erforderlich, um nachzuweisen, dass ein im großen Maßstab produzierter Impfstoff mit dem in der klinischen Studie getesteten Impfstoff identisch ist. Bis April 2021 erwartet Şahin, dass „wir problemlos sehr große Mengen herstellen können. Wir waren sogar in der Lage, unser Produktionsziel von 1,3 auf 2 Milliarden Dosen zu erhöhen. Ich sehe momentan keinen Grund, warum wir im nächsten Jahr die Produktion nicht weiter aufstocken könnten.“

Während Şahin sich darüber freut, wie gut der Impfstoff funktioniert, bereitet sich sein Team bereits auf die Zukunft vor. Sie werden eine neuartige klinische Studie als Muster zur Anpassung von Impfstoffen durchführen, „damit wir schnell reagieren können, wenn eine neue Variante auftaucht – also etwa innerhalb von sechs bis acht Wochen nach dem ersten Auftreten“, sagt Şahin.

Während der Fragerunde kommentierte Professor Nikolaus Rajewsky, dass das virtuelle Event-Format es den Teilnehmer*innen leider nicht erlaubte, Şahin mit Standing Ovations für die schnellste Produktion eines Impfstoffs gegen einen neuartigen Erreger in der Geschichte zu ehren. Şahin betonte jedoch, dass diese Leistung nur durch intensive und schnelle Zusammenarbeit möglich war – mit Wissenschaftler*innen, Regulierungsbehörden und den Studienteilnehmer*innen, die sich schon früh freiwillig gemeldet haben, als noch sehr wenig über den Impfstoff bekannt war.

„Das ist wirklich eine Leistung der gesamten wissenschaftlichen Community“, sagt Şahin.

Text: Laura Petersen

 

Weitere Informationen